Strommangellage – Brennendes Streichholz vor Stromkasten

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Strommangellage! Muss mein E-Auto in der Garage bleiben?

«Houston, we have a problem …» Liebe Leserinnen und Leser, Strom wird nächstes Jahr teurer. Und zwar nicht nur ein wenig. Nein, so richtig. In Oberlunkhofen, Aargau, sind es ganze 263 %. Glücklich, wer in Pfäffikon wohnt. Dort sind es weniger als 4 %. Der Präsident der Eidgenössischen Elektrizitätskommission, Werner Luginbühl, hat in einem Interview mit der «NZZ am Sonntag» sogar zum Kauf von Kerzen und Brennholz geraten. Geht uns tatsächlich der Strom aus – und muss das brandneue Elektroauto im Winter in der Garage bleiben? Oder wird das Fahren mit dem E-Auto plötzlich unerschwinglich teuer? Warum das nicht passieren wird und weshalb E-Autos sogar ein Teil der Lösung sein können, lesen Sie hier.
Ende 2021 sind gemäss Bundesamt für Statistik 70 223 E-Autos auf leisen Sohlen durch die Schweiz gesurrt. Das sind über 60 % mehr als 2020. Mit rund 0,2 TWh, also 200 000 000 Kilowattstunden, waren E-Autos 2021 allerdings gerade mal für 0,4 % des gesamten Stromverbrauchs in der Schweiz verantwortlich. Genau. Weniger als ein halbes Prozent. Zum Vergleich: Auf die Beleuchtung entfielen gemäss Christoph Schreyer, Leiter der Abteilung Energieeffizienz im BFE, 12 %. Hätten Sie das vor drei Monaten gewusst? Ich nicht. Übrigens, die Warmwasseraufbereitung macht über 5 % des Stromverbrauchs aus. Und noch eine Zahl hat mich überrascht: Die Photovoltaik hat 2021 gegenüber dem Vorjahr um 0,7 TWh zugelegt. Das ist doch immerhin 3 Mal mehr, als Elektroautos 2021 für das Fahren von A nach B benötigt haben.

Das Potenzial zur Stromproduktion mittels Photovoltaik auf Dächern in der Schweiz wurde in diversen Studien ermittelt. Die Potenzialschätzungen gehen mit 16 bis 53 TWh pro Jahr aufgrund unterschiedlicher Annahmen zum nutzbaren Anteil der Dachflächen zwar weit auseinander – aber eines scheint klar zu sein: PV könnte den Strombedarf für Elektroautos um ein Vielfaches abdecken. Und dies, obwohl die Schweiz, vielleicht mit Ausnahme des Tessins, nicht zur Sonnenstube Europas gehört. Die ZHAW hat im Juli 2022 eine Studie publiziert, in der das Flächenpotenzial errechnet wurde. Von total 644 km2 Dachflächen in der Schweiz eignen sich 440 km2 (68 %) aufgrund der Einstrahlung und ihrer Grösse für Photovoltaikanlagen. Dabei lassen sich rund 60 % der Flächen mit Photovoltaikmodulen belegen. Dies entspricht einer maximalen Modulfläche von 264 km2. Das sind 37 000 Fussballfelder. Genug, um ganz viel Strom für Elektroautos zu erzeugen.
 

Bei der Elektromobilität geht es um weit mehr als Stromverbrauch – es geht um Energieeffizienz!

Auch ich, liebe E-Auto-Kritiker und -Enthusiasten, plädiere fürs Energiesparen und einen sinnvollen Umgang mit unserer beschränkten Ressource Energie. Der Aufruf nach Einsparungen ist also richtig und wichtig, die Forderung nach einem Elektromobilitätsverbot aber weder sinnvoll noch zielführend. Warum? Weil Elektroautos im Vergleich zu Verbrennern deutlich effizienter sind und deshalb einen wichtigen Beitrag zum Energiesparen leisten können.Wirkungsgrad

1. Wirkungsgrad

Ein Elektromotor setzt rund 80 % der ihm zugeführten Energie in Bewegung um und gibt im Umkehrschluss nur 20 % der Energie durch Verluste an die Umwelt ab. Zum Vergleich: Bei einem Dieselmotor liegt der Wirkungsgrad bei circa 45 %, bei einem Benziner sogar nur bei 20 %. Der 1. Hauptsatz der Thermodynamik ist eine besondere Form des Energieerhaltungssatzes der Mechanik. Er sagt aus, dass Energien ineinander umwandelbar sind, aber nicht gebildet bzw. vernichtet werden können. Blöd nur, dass bei Verbrennern zwischen 55 und 80 % der Energie in Wärme umgewandelt werden – was einer Vernichtung schon ziemlich nahe kommt.

2. Überlegene Effizient

Christoph Erni, CEO von Juice Technology, hat in einem Kommentar kürzlich ein anschauliches Rechenbeispiel für die überlegene Effizient von Elektromotoren gemacht. Für die Herstellung eines einzigen Liters Benzin verbraucht die lokale Raffinerie rund 1,5 kWh Elektrizität (für Diesel sogar rund 2,5 kWh). Wenn Stammtischlers SUV also 10 Liter verbraucht, dann gehen allein 15 kWh Strom für die Raffinierung drauf. Und damit fährt ein E-Auto – je nach Modell – gerne schon mal 100 Kilometer. Und hier ist der Transport von der Quelle zum Auto – also Ölförderung, Schiffs-, Bahn- und Strassen-Tankertransport, Beleuchtung und Pumpe an der Tankstelle – noch nicht einmal eingerechnet. Den Umweg über Benzin oder Diesel können wir uns also getrost sparen.

3. Nur 9%

Wenn in nicht allzu ferner Zukunft alle Fahrzeuge (also Personenwagen, Lastwagen und Busse) einmal elektrisch fahren, soll ihr gesamter Stromverbrauch gerade mal 9 % am Weltstromverbrauch ausmachen. Zugegeben, das sind Zahlenspielereien mit einigen Unsicherheitsfaktoren. Es zeigen aber recht eindrücklich die Grössenverhältnisse, und vor allem zeigt es, wie sagenhaft effizient E-Fahrzeuge in Bezug auf den Energieverbrauch sind.

Übrigens: James Morris, ein US-amerikanischer E-Auto-Experte, hat in einer detaillierten Analyse einen Toyota Camry mit einem Tesla Model 3 verglichen. Sein Fazit: Der Tesla ist 3,57 Mal energieeffizienter als der Verbrenner Toyota Camry.

Bild von Krispin Romang
E-Autos haben 2021 0,2 TWh Strom verbraucht. Das sind nur 0,4 % des Gesamtverbrauchs der Schweiz.
Krispin Romang
Geschäftsführer Swiss eMobility

Wird das Fahren mit E-Autos in Zukunft zu teuer?

Hier gibt es eine klare Antwort. Nein, wird es nicht. Auch wenn die Frage aufgrund der Strompreiserhöhungen natürlich berechtigt ist. Aber machen wir dazu doch einige kleine Rechenbeispiele.

Vergleichen wir dazu zwei ähnlich Fahrzeuge: einen Hyundai iX35, ein Dieselfahrzeug, und den neuen Hyundai IONIQ 5, ein rein elektrisches Fahrzeug. 

1. Diesel

Der Hyundai iX35 braucht rund 8 Liter Diesel auf 100 Kilometer. Der Diesel kostet bei mir um die Ecke CHF 2.18, was durchaus als Schnäppchen bezeichnet werden kann. Das macht 8 × 2.18 = CHF 17.44.

2. Strom

Der Hyundai IONIQ 5 braucht 20,9 kWh für 100 Kilometer. Dieses Jahr verrechnet mir mein Energielieferant 16.86 Rappen pro kWh (Niedertarif, ich lade ja eigentlich immer nachts). Das macht 20,9 x 0,1686 = CHF 3.52. Fast schon Faktor 5 günstiger!

3. 2023

Aber was kostet mich das E-Auto-Fahren aufgrund der steigenden Strompreise nächstes Jahr? Ich habe mir die Mühe gemacht, die Strompreise 2023 bei der Elcom nachzuschauen. In meinem Fall steigen die kWh-Kosten von 16.86 auf neu 26.72 Rappen. Ziemlich heftig, finde ich. Und trotzdem. Die 100 Kilometer lege ich mit dem Elektroauto immer noch deutlich günstiger als mit dem Diesel zurück. 20,9 × 0,2672 = CHF 5.58. Also immer noch Faktor 3 günstiger.

4. Fazit

Selbst wenn Sie in Gaiserwald, St. Gallen, der offiziellen Stromhölle der Schweiz 2023, laden – dort kostet die kWh nächstes Jahr sagenhafte 58,76 Rappen –, bezahlen Sie für die 100 Kilometer mit dem Hyundai IONIQ 5 immer noch nur CHF 12.28. Übrigens, in Gondo-Zwischenbergen im Wallis kostet die kWh nächstes Jahr gerade mal 8.49 Rappen. Dann kostet die 100-Kilometer-Fahrt gerade mal CHF 1.77. Crazy, finden Sie nicht auch?

Kann bidirektionales Laden das Stromnetz stabilisieren?

Bidirektionales Laden bedeutet nichts anderes, als dass der Akku des Elektroautos nicht nur geladen werden, sondern auch Strom für unterschiedliche Anwendungen abgeben kann. Dabei wird von vier unterschiedlichen Anwendungsmöglichkeiten gesprochen: Vehicle to Home, Vehicle to Building, Vehicle to Load und der Königsdisziplin, Vehicle to Grid.

Während bei VtH und VtB Energie an das eigene Haus oder Gebäude abgegeben wird, ermöglich es VtL, die gespeicherte Energie einer E-Auto-Batterie zu nutzen, um zum Beispiel ein E-Bike aufzuladen, elektrische Campingausrüstung oder eine Beleuchtung zu betreiben. Und das alles bei ausgeschaltetem Fahrzeug. VtG, als Vehicle to Grid, ist aber die Königsdisziplin. Sie soll es ermöglichen, einerseits erneuerbare Energien zu fördern, Ladetarife attraktiver zu gestalten, Kosten für den Netzausbau zu senken – und andererseits für die nötige Netzstabilität zu sorgen. Das Elektroauto hat somit in Zukunft das Potenzial, zu einer Batterie zu werden, die zu Off-Peak-Zeiten günstig lädt und zu Spitzenzeiten gegen ein Entgelt Strom ins Netz abgeben kann. Das Konzept hat seinen Reiz, da Fahrzeuge üblicherweise einen Grossteil der Zeit ungenutzt herumstehen.

Ob sich die Technologie, die noch in den Kinderschuhen steckt, in naher Zukunft durchsetzen wird, ist offen. Eine sinnvolle Ergänzung, um unregelmässig anfallenden Strom aus erneuerbaren Energien zu kompensieren und mögliche künftige Strommangellagen zu überbrücken, könnte das bidirektionale Laden aber auf jeden Fall sein. Die Reise der Elektromobilität hat gerade erst begonnen.