Abgas im Stauverkehr
Jul 15, 2022
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R. I. P., Otto-Motor

Am 8. Juni 2022 hat die EU-Kommission das Ende des Otto-Motors eingeläutet. Was 1888 mit dem Benz-Patent-Motorwagen Nummer 3 und einer Fahrt über 104 Kilometer angefangen hat, geht ab 2035 mit dem Verkaufsverbot von Autos mit Verbrennermotoren zu Ende. Eine Würdigung der deutschen Ingenieurskunst und ein Hoch auf die neuen Möglichkeiten der Elektromobilität.

Als im August 1888 eine Frau mit ihren beiden Kindern eine Ausfahrt macht, staunen die Einwohner der Ortschaften Wiesloch, Bruchsal und Durlach nicht schlecht. Über die Gassen ihrer Städtchen rollt ein Gefährt mit drei Rädern, das an eine Kreuzung aus Kutsche und Fahrrad erinnert. Pferde sind nicht zu sehen. Und die drei Fahrgäste treten auch nicht in die Pedale. Das Vehikel fährt offenbar aus eigener Kraft – gesteuert über eine Kurbel, die die Frau in der Hand hält. Die Frau heisst Bertha Benz, die Teenager sind ihre Söhne Richard und Eugen, und das Fahrzeug ist der Benz-Patent-Motorwagen Nummer 3.

 

1. Version

Carl Benz, Berthas Ehemann, hat die erste Version des Fahrzeugs bereits 1886 patentieren lassen und im Juli desselben Jahres bei einer öffentlichen Probefahrt in Mannheim vorgeführt. «Es ist nicht zu bezweifeln, dass sich dieses Motoren-Velociped bald zahlreiche Freunde erwerben wird», hält die «Neue Badische Landeszeitung» am 4. Juni 1886 euphorisch fest. Doch tatsächlich kann sich zunächst kaum ein Käufer für den «Benzinwagen» erwärmen und der wirtschaftliche Erfolg bleibt aus. Um ihrem Mann Mut zu machen und die Zeitgenossen von der Alltagstauglichkeit des Gefährts zu überzeugen, beschliesst Bertha Benz, eine ausführliche Probefahrt zu machen – allerdings ohne ihren zögerlichen Gatten vorab zu informieren. Frühmorgens begibt sie sich mit ihren beiden Söhnen auf die 104 Kilometer lange Strecke von Mannheim in ihre Geburtsstadt Pforzheim, die sie nach 12 Stunden und 57 Minuten wohlbehalten erreichen.

2. Otto

1861 meldet ein gewisser Nicolaus August Otto, Handlungsreisender und technischer Autodidakt, zusammen mit seinem Bruder Wilhelm eine Patentschrift für einen Spiritusverdampfer an. Es ist die Geburtsstunde des Otto-Motors. Bis der erste funktionsfähige Viertaktmotor produziert wird, vergehen aber noch weitere zwölf Jahre. Zur Serienreife und damit zum kommerziellen Erfolg tragen aber zwei weitere geniale deutsche Ingenieur bei: Gottlieb Daimler und Wilhelm Maybach. 1883 melden die beiden einen verbesserten Einzylinder-Viertaktmotor zum Patent an. Ihr «Gasmotor mit Glührohrzündung» bringt es auf 1 PS bei 650 Umdrehungen pro Minute. Er ist klein, relativ leicht und wird mit Benzin betrieben – optimale Voraussetzungen für den Einsatz in einem Fahrzeug. Es ist der Startschuss zur Motorisierung des Individualverkehrs.

3. Henry Ford

Auch wenn es Henry Ford war, der ab 1913 durch neue Produktionstechniken wie Fliessbänder den Motorfahrzeugen zum Durchbruch verhalf, so waren es doch Carl Benz, Nicolaus August Otto, Gottlieb Daimler, Wilhelm Maybach und viele andere aussergewöhnliche Ingenieure, die das Zeitalter der Mobilität eingeläutet haben.


Die ganze Geschichte lesen Sie hier

 

Das EU-Parlament schreibt Geschichte.

Am 8. Juni 2022 hat das EU-Parlament eine ganz andere Art von Geschichte geschrieben. Ab 2035 dürfen in der EU nur noch Personenwagen und Kleintransporter bis 3,5 Tonnen verkauft werden, die keine Treibhausgase emittieren. Das ist praktisch nur mit reinen Elektroautos zu bewerkstelligen. Der Entscheid des EU-Parlaments kommt also faktisch einem Verbot von Benzin- und Dieselfahrzeugen, aber auch von Hybrid- und Plug-in-Hybrid-Autos gleich. Ein wohl einzigartiger Vorgang in der 30-jährigen Geschichte der Europäischen Union und einer, der Ursula von der Leyen durchaus einiges an «Courage» abverlangt hat.  

Bild von Ursula von der Leyen.jpg
Wir werden einen zeitlichen Rahmen vorgeben, bis zu dem alle Autos emissionsfrei sein müssen.
Ursula von der Leyen
EU-Kommissionspräsidentin

 

Der Ausstieg aus dem Markt für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren ist von aussergewöhnlicher Dimension.

  • Aktuell sind 243 Millionen Fahrzeuge in der EU zugelassen
  • 14,6 Millionen Europäer arbeiten in der Automobilindustrie, das sind 6,7 Prozent aller EU-Jobs
  • 226 Fahrzeugmontage- und Produktionswerke gibt es in der EU
  • 25 Prozent aller weltweit produzierten Autos kommen aus der EU

Aber die Autoindustrie hat schon längst reagiert. Immer mehr Hersteller nennen ein Datum für das Verbrenner-Ende. Darunter sind neben GM auch Ford, Audi, Mercedes, BMW, Volvo, VW oder Hyundai. Opel hat es besonders eilig: Bis 2024 soll die gesamte Modellpalette mindestens teilelektrisch unterwegs sein. Bis 2028 will Opel nur noch Elektroautos anbieten. Fiat plant bis 2030 den kompletten Abschied vom Verbrenner. Alle anderen rechnen mit einem Ausstieg zwischen 2033 und 2035. Das Rad der Transformation dreht sich aber immer schneller und die Autohersteller werden lange vor 2035 unter Zugzwang kommen. Hand aufs Herz, sehr geehrte Leserinnen und Leser: Wenn Sie sich heute ein Auto kaufen müssten, würden Sie sich nicht auch Gedanken machen, ob eine benzin- oder dieselangetriebene CO2- und Stickoxid-Schleuder noch die richtige Wahl ist?

Mit dem Verschwinden von Verbrennern verändert sich aber auch eine ganz Industrie. Zulieferer, Tankstellenbetreiber oder Garagen werden neue Geschäftsmodelle suchen müssen. Denn Elektroautos fahren ohne Zündkerzen, ohne Auspuffanlage, ohne Kolben, Zylinder oder Vergaser. E-Autos besuchen nur noch selten eine Tankstelle und kommen praktisch ohne Wartung aus. Die bevorstehende Transformation verändert eine ganze Industrie. Veränderungen schaffen aber auch Chancen. Rund um die Elektromobilität werden neue Dienstleistungsangebote entstehen, sich neue Industrien und Mobilitätskonzepte entwickeln. Innenstädte werden emissionsfrei, neue Fahrzeugkonzepte werden uns überraschen und das Fahren wird in Zusammenarbeit mit künstlicher Intelligenz und neuen Konzepten entspannter und sicherer. Es gibt viele Gründe, sich auf das Zeitalter der Elektromobilität zu freuen. 
 

Und was bedeutet das alles für die Schweiz?

Auch wenn der Branchenverband Auto Schweiz das Verbrenner-Verbot der EU ablehnt, bereiten sich die Importeure auf die neue Realität vor. Die europäischen Hersteller werden kaum Verbrennermotoren extra für den Schweizer Markt produzieren. Somit dürften auch in der Schweiz spätestens ab 2035 Neuzulassungen nur noch elektrisch unterwegs sein.